Eine Gefahr für den Westen?

Was die BRICS in ihrer Abschlusserklärung fordern

Der BRICS-Gipfel letzte Woche hat wieder einmal gezeigt, wie sehr sich der Westen international isoliert hat. Dazu reicht ein Blick in die Abschlusserklärung des Gipfels.

Deutsche Medien haben möglichst wenig über den BRICS-Gipfel berichtet. In den Meldungen und Artikeln, die es in Deutschland gab, wurde kaum über inhaltliches berichtet, die deutschen Medien haben sich stattdessen darauf konzentriert, die BRICS klein zureden oder als Klub von Autokraten zu bezeichnen, in dem kaum wirkliche Entscheidungen getroffen werden. Ganz anders sei es natürlich im Westen, wo Demokratien in den G7 immer Einigkeit zeigen und die Welt angeblich voranbringen.

Man muss sich vor Augen führen, dass die BRICS inzwischen weitaus größer sind als die G7. Ihre Wirtschaftskraft übertrifft die G7 inzwischen und nach Bevölkerung gesehen repräsentieren die BRICS weitaus mehr Menschen als die westlichen Vereinigungen. Wichtiger ist jedoch, dass die BRICS über weit mehr Bodenschätze und auch Lebensmittelproduktion verfügen, als die westlichen Vereinigungen. Und da beginnen bereits die Probleme, denn der Westen ist auf die Bodenschätze angewiesen und daran gewöhnt, sie billig ausplündern zu können, wogegen in den betroffenen Ländern der Widerstand wächst.

Daher ist Schlange der Staaten, die den BRICS beitreten wollen inzwischen auf über 30 angewachsen. Am BRICS-Gipfel in Kasan haben letzte Woche Vertreter aus 36 Ländern, darunter 22 Staats- und Regierungschefs, teilgenommen.

Die BRICS haben zunächst einen Aufnahmestopp für neue Mitglieder ausgesprochen, weil die BRICS auf diesen Andrang nicht vorbereitet sind und zunächst interne Mechanismen für die Aufnahme neuer Länder schaffen müssen. Daher wurde das Format BRICS Outreach/BRICS-Plus geschaffen, in dem Staaten bereits Partner der BRICS werden können, ohne der Gruppe beigetreten zu sein.

Diese Karte aus dem deutschen Wikipedia zeigt anschaulich, wie beliebt die BRICS inzwischen sind. Dunkelblau sind die BRICS-Länder gekennzeichnet, hellblau die Interessenten und Partner.

Da deutsche Medien über die Themen des BRICS-Gipfels kaum berichtet haben, will ich hier die in meinen Augen wichtigsten Punkte aus der Abschlusserklärung des BRICS-Gipfels zeigen. Die Abschlusserklärung umfasst 33 Seiten mit über 130 Punkten, weshalb ich nur eine Auswahl der Punkte zeigen kann, die ich für wichtig halte, die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Eine demokratische Weltordnung

Ein Kernpunkt der Forderungen der BRICS ist die Errichtung einer demokratischen Weltordnung, in der alle Staaten gleiche Rechte haben und in der niemand anderen vorschreiben kann, welche Werte, politischen oder wirtschaftlichen Systeme und so weiter andere Staaten haben sollen. Das muss der US-geführte Westen bereits als Kampfansage auffassen, denn es ist der US-geführte Westen, der nach dem Kalten Krieg vom „Ende der Geschichte“ gesprochen hat, weil man dort meinte, nun habe das westliche System gewonnen und die ganze Welt müsse sich dem Westen unterordnen.

Übrigens sind die BRICS, anders als der Westen, dafür, dass die UNO gestärkt und das Völkerrecht, das der Westen laufend bricht, eingehalten wird. Einseitige Sanktionen, wie der Westen sie am laufenden Band verhängt, verstoßen beispielsweise gegen das Völkerrecht, weil laut UN-Charta nur der UN-Sicherheitsrat Sanktionen verhängen darf. Geregelt ist das in Kapitel VII der UN-Charta, das den Titel „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“ trägt, und in den Artikeln 39 und 41 ist geregelt, wann und wie Sanktionen völkerrechtskonform beschlossen werden können.

Um davon abzulenken, dass der Westen die UNO und das geltende Völkerrecht am liebsten abschaffen würde, wird im Westen inzwischen davon gesprochen, es gehe um eine „regelbasierte Weltordnung“, was zwar schön klingt, aber in der Praxis nichts anderes bedeutet, als dass die USA die Regeln festlegen und jederzeit einseitig ändern können und der Rest der Welt sich dem zu fügen hat.

Daher kommt es, dass die vom US-geführten Westen propagierte „regelbasierte Ordnung“ im Rest der Welt keine Unterstützung findet, sondern dass der nicht-westliche Teil der Welt, also die Mehrheit der Staaten, eine demokratische Weltordnung fordert, in der alle Staaten gleiche Rechte haben und kein Staat (und keine Gruppe von Staaten) anderen vorschreiben kann, wie sie zu leben, mit wem sie Handel treiben und welche „Werte“ sie zu mögen haben. Das kann man auch in der Abschlusserklärung der BRICS deutlich sehen.

Daher trägt ein ganzer Abschnitt der Abschlusserklärung den Titel:

„Stärkung des Multilateralismus für eine gerechtere und demokratischere Weltordnung“

Die BRICS sind gegen die westlichen Sanktionen

In Punkt 9 kann man da beispielsweise lesen:

„Wir lehnen die einseitigen Handelsbeschränkungen ab, die mit den WTO-Regeln unvereinbar sind.“

„Einseitige Handelsbeschränkungen“ sind Wirtschaftssanktionen, die die BRICS einhellig ablehnen. Außerdem weisen die BRICS hier darauf hin, dass die Wirtschaftssanktionen des Westens auch gegen die Regeln der WTO verstoßen.

Den USA ist die WTO inzwischen übrigens egal, sie haben deren für alle gültigen Regelns schon lange über Bord geworfen und dabei auch die EU angegriffen, die – wie für gehorsame Vasallen üblich – jedoch fast kritiklos akzeptiert hat, dass sich die „regelbasierte Weltordnung“ der USA auch gegen die EU selbst richten kann.

Auch das westliche, also auf dem Dollar basierende, heutige Finanzsystem lehnen die BRICS ab. In Punkt 11 der Abschlusserklärung heißt es:

„Wir fordern eine Reform der Bretton-Woods-Institutionen, die eine stärkere Vertretung der Entwicklungsländer in Führungspositionen einschließt, um den Beitrag der Entwicklungsländer zur Weltwirtschaft widerzuspiegeln.“

Hierbei geht es um eine Reform der Weltbank und des IWF, in denen sich die USA bei deren Gründung in den 1940er Jahren die Dominanz gesichert haben, weshalb sie die Weltbank und den IWF heute als Instrumente ihrer Politik missbrauchen können und das auch sehr aktiv tun, was dem Rest der Welt nicht gefällt.

Und in Punkt 13 der Abschlusserklärung geht es noch einmal um Sanktionen, die die BRICS hier explizit als „mit den Grundsätzen der UN-Charta unvereinbar“, also als völkerrechtswidrig, bezeichnen:

„Wir verurteilen die Versuche, die Entwicklung diskriminierenden, politisch motivierten Praktiken zu unterwerfen, darunter, aber nicht beschränkt auf einseitige Zwangsmaßnahmen, die mit den Grundsätzen der UN-Charta unvereinbar sind, sowie explizite oder implizite politische Konditionalitäten der Entwicklungshilfe und -aktivitäten, die darauf abzielen, die Vielfalt der internationalen Entwicklungshilfeanbieter zu beeinträchtigen.

Scharfe Kritik an Israel (und seinen Unterstützern)

Ein sehr umfangreicher Teil der BRICS-Abschlusserklärung betrifft die weltweite Sicherheit. Ich kann aus diesem Teil nur einige Punkte zitieren, weil es schlicht zu viele Themen sind, um die es hier geht. Aber auch hier zieht sich die Kritik am US-geführten Westen wie ein roter Faden durch die Abschlusserklärung.

In Punkt 30, der sehr lang ist und den ich daher in Auszügen zitiere, geht es um die Kritik der nicht-westlichen Welt am Vorgehen Israels und damit unausgesprochen auch um Kritik an der Unterstützung Israels durch den Westen:

„Wir bekräftigen unsere tiefe Besorgnis über die Verschlechterung der Lage und die humanitäre Krise im besetzten palästinensischen Gebiet, insbesondere über die beispiellose Eskalation der Gewalt im Gazastreifen und im Westjordanland infolge der israelischen Militäroffensive, die zu Massentötungen und Verletzungen von Zivilisten, Zwangsvertreibungen und weitreichender Zerstörung der zivilen Infrastruktur geführt hat. (…) Wir bekräftigen im Kontext des unerschütterlichen Bekenntnisses zur Vision einer Zweistaatenlösung auf Grundlage des Völkerrechts unsere Unterstützung für die Vollmitgliedschaft des Staates Palästina in den Vereinten Nationen, einschließlich der einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates und der Generalversammlung der Vereinten Nationen, sowie der Arabischen Friedensinitiative, die die Errichtung eines souveränen, unabhängigen und lebensfähigen Staates Palästina in den international anerkannten Grenzen vom Juni 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt umfasst, der in Frieden und Sicherheit Seite an Seite mit Israel lebt.“

Auch die israelischen Angriffe gegen den Libanon, die im Westen nicht kritisiert werden, obwohl Israel hier völkerrechtswidrig ein souveränes Land bombardiert und bereits tausende Zivilisten ermordet hat, werden von den BRICS kritisiert:

„Wir sind besorgt über die Lage im Südlibanon. Wir verurteilen den Verlust von Leben von Zivilisten und den immensen Schaden an der zivilen Infrastruktur infolge der Angriffe Israels auf Wohngebiete im Libanon und fordern die sofortige Einstellung der militärischen Handlungen. Wir betonen die Notwendigkeit, die Souveränität und territoriale Integrität des Staates Libanon zu wahren und Bedingungen für eine politische und diplomatische Lösung zu schaffen, um Frieden und Stabilität im Nahen Osten zu wahren, und unterstreichen gleichzeitig die Bedeutung der strikten Einhaltung der Resolutionen 1701 (2006) und 2749 (2024) des UN-Sicherheitsrates. Wir verurteilen Angriffe auf UN-Personal und Bedrohungen seiner Sicherheit aufs Schärfste und fordern Israel auf, derartige Aktivitäten unverzüglich einzustellen.“

Israelischer Terror

Außerdem beschuldigen die BRICS Israel, einen Terroranschlag begangen zu haben. Dabei geht es um den Einbau von Sprengladungen in Pager und andere Kommunikationsgeräte (Informations- und Kommunikationstechnik, IKT):

„Wir bringen unsere Besorgnis über die zunehmenden Terroranschläge im Zusammenhang mit IKT-Kapazitäten zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang verurteilen wir den vorsätzlichen Terroranschlag, bei dem am 17. September 2024 in Beirut tragbare Kommunikationsgeräte gezündet wurden, wodurch Dutzende Zivilisten ihr Leben verloren und verletzt wurden.“

Die USA halten Teile Syriens illegal besetzt

Die USA haben noch unter Trump Teile von Ost-Syrien militärisch besetzt und beuten dort die syrischen Ölquellen aus, deren Einnahmen Syrien dringend für den Aufbau seines zerstörten Landes braucht. Im Westen wird das Thema gar nicht thematisiert, obwohl die USA hier vollkommen völkerrechtswidrig einen Teil eines souveränen Staates besetzt haben und Öl und andere Bodenschätze im Wert von Milliarden Dollar ein klauen.

Die BRICS kritisieren das deutlich und wiederholen bei der Gelegenheit noch einmal, dass einseitige Sanktionen illegal sind:

„Wir betonen, dass die Souveränität und territoriale Integrität Syriens strikt gewahrt werden müssen. Wir verurteilen die illegale ausländische Militärpräsenz, die das Risiko eines groß angelegten Konflikts in der Region erhöht. Wir betonen, dass illegale einseitige Sanktionen das Leid des syrischen Volkes erheblich verschlimmern.“

Die BRICS fordern Frieden in der Ukraine

Interessant ist, was die BRICS zur Ukraine geschrieben haben:

„Wir erinnern an die nationalen Positionen zur Lage in und um die Ukraine, wie sie in den entsprechenden Foren, einschließlich des UN-Sicherheitsrats und der UN-Generalversammlung, zum Ausdruck gebracht wurden. Wir betonen, dass alle Staaten im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta in ihrer Gesamtheit und in ihren Zusammenhängen handeln sollten. Wir nehmen mit Anerkennung relevante Vorschläge zur Vermittlung und guten Dienste zur Kenntnis, die auf eine friedliche Lösung des Konflikts durch Dialog und Diplomatie abzielen.“

Das ist eine sehr neutrale Formulierung, mit der alle Beteiligten leben konnten. Im globalen Süden teilt man zwar weitgehend die russische Sicht, dass die NATO den Ukraine-Krieg mit ihrer Erweiterungspolitik provoziert hat, bei der sie Russlands 20 Jahre lang geäußerten Sicherheitsbedenken ignoriert hat, aber viele Staaten haben anscheinend noch Angst, das offen zu sagen. Daher wird in neutraler Formulierung gefordert, realistische Vermittlungsvorschläge zu unterstützen, um den Krieg zu beenden.

Weg vom Dollar

Wegen der westlichen Sanktionen suchen die BRICS nach Wegen, sich vom Dollar zu lösen. Dazu wird der Handel zwischen den BRICS-Ländern immer mehr in den nationalen Währungen und nicht in Dollar oder Euro abgewickelt. Auch eigene Zahlungssysteme führen die BRICS ein, weil das Misstrauen gegen SWIFT wächst, das ebenfalls zu einer Waffe des US-geführten Westen geworden ist, der nach Lust und Laune Länder vom SWIFT (und damit vom internationalen Zahlungsverkehr) abkoppelt.

Daher schreiben die BRICS in ihrer Abschlusserklärung:

„Wir bekräftigen unser Engagement für die Verbesserung der finanziellen Zusammenarbeit innerhalb der BRICS. Wir erkennen die weitreichenden Vorteile schnellerer, kostengünstigerer, effizienterer, transparenterer, sichererer und umfassenderer grenzüberschreitender Zahlungsinstrumente an, die auf dem Prinzip der Minimierung von Handelshemmnissen und des diskriminierungsfreien Zugangs basieren. Wir begrüßen die Verwendung lokaler Währungen bei Finanztransaktionen zwischen den BRICS-Ländern und ihren Handelspartnern. Wir ermutigen zur Stärkung der Korrespondenzbankennetzwerke innerhalb der BRICS und zur Ermöglichung von Abrechnungen in lokalen Währungen im Einklang mit der BRICS Cross-Border Payments Initiative (BCBPI), die freiwillig und unverbindlich ist, und freuen uns auf weitere Diskussionen in diesem Bereich, auch in der BRICS Payment Task Force.“

Gegen Neokolonialismus

Ein Problem der Länder des Globalen Südens ist es, dass die westlichen Länder bei ihnen billig Bodenschätze abbauen. Würden die Länder diese selbst weiter verarbeiten, anstatt sie billig an westliche Konzerne abzugeben, die dann das Geld mit der Verarbeitung verdienen, würde das vielen Ländern Afrikas, Südamerikas und auch Asiens aus der Armut helfen.

Daher schreiben die BRICS, übrigens wieder mit Verweis auf die illegalen westlichen Sanktionen, die der gesamten Weltwirtschaft schaden:

„Wir betonen, dass sichere, belastbare, stabile, effektive und offene Lieferketten für eine nachhaltige Entwicklung von entscheidender Bedeutung sind. In Anerkennung der Rolle der BRICS-Mitglieder als weltweit größte Produzenten von Bodenschätzen unterstreichen wir die Bedeutung einer Stärkung der Zusammenarbeit der BRICS-Mitglieder über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg und vereinbaren gemeinsame Maßnahmen mit dem Ziel, einseitige protektionistische Maßnahmen zu bekämpfen, die im Widerspruch zu den bestehenden WTO-Bestimmungen stehen.“

Ich konnte hier nur einen kleinen Teil der Abschlusserklärung behandeln, aber ich denke, dass diese Auswahl bereits zur Genüge zeigt, wie deutlich die Kritik der BRICS und der nicht-westlichen Welt am Westen ist. Da diese Länder die Mehrheit der Staaten der Welt stellen und da sie über die Bodenschätze verfügen, die der Westen haben will, und weil diese Länder am Beispiel Russlands sehen, dass der US-geführte Westen keineswegs mehr allmächtig ist, wächst der Widerstand gegen den Westen.

Daher haben die Stimmen im Westen, die in den BRICS eine Bedrohung des westlichen Systems und Herrschaftsmodells sehen, durchaus recht. Allerdings erfährt man davon praktisch nichts in deutschen Medien, dazu muss man schon Medienberichte aus Frankreich, England oder den USA lesen.


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

3 Antworten

  1. S. g. Herr Röper, vielen Dank für diesen hochinteressanten und aufschlussreichen Artikel! Meine Frage im Zusammenhang mit dem Kasan-Gipfel ist: Die Ukraine und auch ein kleines baltisches Land schäumen natürlich, dass UN-Generalsekretär Guterres es gewagt hat, in Kasan aufzutauchen und die Hand von Präsident Putin zu schütteln. Auf der Website der UNO selber finde ich dazu Folgendes: https://news.un.org/en/story/2024/10/1156086
    Auf einmal schaut mir die UNO nützlich aus. Gibt es da eine Art positiven Rückkopplungs-Effekt? Was passiert hier gerade, können Sie das erläutern, bitte?!

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