Gefahr eines Atomkriegs

Wie das russische Fernsehen über die Änderung der russischen Atomdoktrin berichtet

Die von Putin verkündete Änderung der russischen Atomdoktrin ist in den russischen Medien immer noch eines der am meisten diskutierten Themen.

Während die westlichen – und vor allem die deutschen – Medien der von Präsident Putin verkündeten Änderungen der russischen Atomdoktrin kaum Aufmerksamkeit geschenkt und das Thema meist in kurzem Meldungen abgehandelt haben, ist russischen Medien die Brisanz des Themas mehr als bewusst. Das zeigte auch ein Bericht im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens, der dort am Sonntagabend gleich zu Beginn der Sendung ausgestrahlt wurde und den ich übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Putin verkündete die neue Atomdoktrin

Eine Meldung, die in die Geschichte eingeht. Präsident Putin hat eine Änderung der Atomdoktrin in Richtung einer Senkung der Schwelle verkündet. Darüber sprechen wir gleich noch im Detail, und auch über das Klagen aus dem Westen, aber zuerst werfen wir einen Blick auf die etwa zehn Männer, die sich am Mittwoch zur Sitzung des russischen Sicherheitsrates über nukleare Abschreckung versammelt hatten.

Dies sind genau die Menschen, die praktisch für die Durchführung eines Atomschlags sorgen: der Präsident des Landes, die Aufklärung, die Sicherheitsdienste, der Verteidigungskomplex, das Verteidigungsministerium, Roskosmos, Rosatom und der Apparat des Sicherheitsrats. Trockener geht es nicht, die Zusammensetzung ist bereits ein Zeichen.

Putin begann damit, dass der Einsatz von Atomwaffen eine extreme Maßnahme zum Schutz der Souveränität des Landes und die russische Atomtriade ein Instrument des strategischen Kräftegleichgewichts sei: „Gleichzeitig sehen wir, dass die moderne militärisch-politische Situation verändert sich dynamisch, und wir sind verpflichtet, das zu berücksichtigen, einschließlich der Entstehung neuer Quellen militärischer Bedrohungen und Risiken für Russland und unsere Verbündeten.“

Es ist klar, dass wir über die Ukraine und die Koalition westlicher Länder sprechen, die sich immer mehr in den Krieg verwickeln. Die neuen Quellen für „Bedrohungen und Risiken“ sind also offensichtlich, wozu Putin sagte: „Es ist wichtig, die Entwicklung der Situation zu prognostizieren und die Bestimmungen des strategischen Planungsdokuments entsprechend an die aktuellen Realitäten anzupassen.“

Das Dokument, über das der Präsident spricht, sind die „Grundlagen der staatlichen Politik im Bereich der nuklearen Abschreckung“. Schwarz auf weiß heißt es darin: „Die Entscheidung über den Einsatz von Atomwaffen wird vom Präsidenten der Russischen Föderation getroffen.“ Das steht in Punkt 18.

Daher schlägt Putin im Rahmen seiner Befugnisse vor, die Ziele und Bedingungen zu klären: „Damit erweitert der Entwurf der Grundlagen die Kategorie der Staaten und Militärbündnisse, gegen die nukleare Abschreckung durchgeführt wird, sowie die Liste der militärischen Bedrohungen, für deren Neutralisierung die Abschreckungsmaßnahmen durchgeführt werden.“

Haben Sie es gehört? Die Kategorie der Staaten und Militärbündnisse, die der nuklearen Abschreckung unterliegen, wurde erweitert. De facto sind das die potenziellen Ziele. Wegen der neuen Risiken und neuen Bedrohungen sind das mehr geworden.

Und hier ist der neuer prinzipielle Punkt über die Ukraine und diejenigen, die sie anstiften. Putin sagte: „In der aktualisierten Fassung des Dokuments wird vorgeschlagen, eine Aggression gegen Russland durch jeden Nicht-Nuklearstaat, jedoch mit Beteiligung oder Unterstützung eines Nuklearstaates, als ihren gemeinsamen Angriff auf die Russische Föderation zu betrachten.“

Das heißt, die Aggression eines nichtnuklearen Staates mit Unterstützung eines nuklearen Staates. Genau diese Kombination haben wir jetzt. Nehmen wir an, wenn Großbritannien dennoch seine Beschränkungen für Kiew für Angriffe mit britischen Storm-Shadow-Raketen tief in russisches Territorium aufhebt, dann könnte es von nun an zu einer nuklearen Reaktion kommen. Die Rede ist von taktischen Atomwaffen.

Taktische Atomwaffen sind heute vielfältig. Und Russland hat alles, was es braucht, von Atomgranaten bis hin zu Bomben und Raketen jeder Stärke. Die Aufgabe bestimmt den Einsatz. Viele Menschen stellen sich Atomwaffen zwangsläufig als etwas Großes vor. So ist das nicht.

Auf diesem Foto sehen wir beispielsweise das Modell einer amerikanischen atomaren Artilleriegranate für eine Standard-155-Millimeter-Haubitze. Das Projektil erhielt die Bezeichnung W48 und wurde von 1963 bis 1992 hergestellt. Ihre Länge beträgt 86 Zentimeter, ihr Gewicht 54 Kilogramm, ihre Sprengkraft bis zu 100 Tonnen TNT-Äquivalent, das ist nicht wenig.

Wenn schon unsere schweren Bomben, die FABs mit drei Tonnen TNT, solchen Schrecken verursachen, welchen Eindruck werden dann Raketen mit einem eigentlich mikroskopisch kleinen Atomsprengkopf, aber einer Zerstörungskraft von 100 Tonnen machen? Bei Bedarf gibt es natürlich auch leistungsstärkere Produkte. Putin bittet einfach höflich darum, es nicht so weit kommen zu lassen.

Erst diese Woche hat Russland mit Hyperschall-Kinschal-Raketen Ziele des Militärflugplatzes Starokonstantinow in der Westukraine präzise getroffen. Am Freitag flog eine weitere Kinschal dorthin.

Inoffizielle amerikanische, europäische und ukrainische Quellen berichten, dass so gleich vier F-16-Kampfflugzeuge am Boden zerstört wurden. Das ist genau der Jäger, der als Träger für die Storm Shadow verwendet werden kann. Brauchen wir solche Flugplätze in der Ukraine und solche F-16?

In derselben Woche bombardierte das russische Militär die Infrastruktur des Schwarzmeerhafens Ismail in der Ukraine nahe Rumänien.

Auch NATO-Militärausrüstung, die sich dort nach dem Entladen der Fähren angesammelt hatte, wurde getroffen. Brauchen wir dort so einen Hafen? Wahrscheinlich nicht, wenn er eine Bedrohung für Russland darstellt.

Und übrigens, wenn wir zu den britischen Storm-Shadow-Raketen zurückkehren, dann werden militärische Einrichtungen in Großbritannien selbst, wenn seine Raketen tief nach Russland abgefeuert werden, auch ein legitimes Ziel für unsere Hyperschall-Kinschals. Und die können sowohl mit einem konventionellen als auch mit einem nuklearen Sprengkopf bewaffnet werden. Provoziert es nicht…

Sagt später nicht, dass man Euch nicht gewarnt hätte. Und es wäre schön, wenn London sich daran erinnern würde, dass die britischen Inseln überhaupt kein Raketenabwehrsystem haben. Gar keins.

Putin sagte: „Die Bedingungen für den Übergang Russlands zum Einsatz von Kernwaffen sind ebenfalls klar dargelegt. Wir werden diese Möglichkeit in Betracht ziehen, wenn wir zuverlässige Informationen über einen massiven Start von Luft- und Raumfahrtmitteln und deren Überschreiten unserer Staatsgrenze erhalten. Ich spreche von strategischen und taktischen Flugzeugen, Marschflugkörpern, Drohnen, Hyperschall- und anderen Flugzeugen.“

Ein massiver Start ist was – 10, 20, 100? Hier lässt Putin meiner Meinung nach bewusst Raum der Unsicherheit. Und dann, bitte beachten Sie, es geht nicht nur um Raketen, sondern auch über Drohnen und andere Flugzeuge. Darüber muss man auch nachdenken. Die Entscheidung über eine nukleare Reaktion wird von einer Person getroffen werden, von Putin. Und er wurde bereits so sehr vom Westen provoziert, dass der russische Präsident es irgendwann satt haben könnte.

Und noch ein wichtiger Punkt. Weißrussland als 100-prozentiger Verbündeter steht unter unserem Schutz, wie Putin sagte: „Wir behalten uns das Recht vor, im Falle einer Aggression gegen Russland und Weißrussland als Mitglied des Unionsstaates Atomwaffen einzusetzen. Alle diese Fragen sind mit der weißrussischen Seite und dem Präsidenten von Weißrussland vereinbart worden. Das gilt auch für den Fall, dass der Gegner mit konventionellen Waffen eine kritische Bedrohung für unsere Souveränität darstellt.“

Eine kritische Bedrohung unserer Souveränität? Auch eine nicht festgelegte Position… Wie misst man das? Putin wird auch den Grad der „Kritikalität“ abwägen.

Es ist klar, dass man im Westen zusammengezuckt ist. Alles ist anders. Zuvor hatte US-Außenminister Blinken die Änderungen an der russischen Atomdoktrin als „unverantwortlich und unzeitgemäß“ bezeichnet. Da spricht der Richtige über Verantwortung…

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius tat so, als wäre nichts passiert: „Das braucht man gar nicht zu kommentieren. Morgen kommt wieder irgendwas anderes. Wir gehen unseren Weg, wir machen, was wir für richtig halten.“

Pistorius hat das, was Sergej Lawrow kürzlich als „kindisches Denken“ bezeichnete. Es besteht kein Grund darüber nachzudenken, morgen kommt was anderes, wir tun das, was wir für richtig halten. Und man kann noch hinzufügen, dass ich Watte in den Ohren und etwas Ähnliches im Kopf habe.

Allerdings gibt es in Deutschland glücklicherweise auch Erwachsene. Hier ein Zitat des Tagesspiegel-Herausgebers Stefan-Andreas Kasdorff: „Nur ein Bluff? Vorsicht! Die größte Atommacht der Welt sollte man ernst nehmen, wenn es um den Einsatz ihres Arsenals geht. Ja, Putin hat schon seit Beginn des Konfliktes oft öffentlich über den Einsatz von Atomwaffen nachgedacht, aber wenn das bisher noch nicht geschehen ist, heißt das nicht, dass die Wahrscheinlichkeit dafür mit der Zeit immer geringer wird.“

Besonders für diejenigen, die sagen, Putin habe viele Male „rote Linien“ gezogen und nichts sei passiert. Die haben ein Kurzzeitgedächtnis. Ende 2021, Anfang 2022 skizzierte Putin erneut die „rote Linie“, die Unzulässigkeit der Aufnahme der Ukraine in die NATO und ihre Umwandlung in ein militärisches Sprungbrett gegen Russland. Damals beschloss der Westen, einfach abzuwinken. Im Ergebnis sind wir da, wo wir sind. Putin hat gehandelt. Und jetzt kann man den Kreml nicht mehr ignorieren.

Allerdings gibt es im Westen insgesamt und beispielsweise in Deutschland im Besonderen doch ein Bewusstsein für die neue Realität. So beurteilt Carlo Masala, Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr, die Korrektur der russischen Atomdoktrin: „Die Doktrin bedeutet keinen Automatismus. Wenn es so wäre, könnten wir berechnen, was Russland tun wird. Es will für seine potenziellen Gegner unberechenbar bleiben. Das sollte ein Signal sein: Erlaubt der Ukraine nicht, mit Langstreckenwaffen auf russische Ziele zu schießen.“

In den USA könnte man über die Wende in der russischen Atomdoktrin ebenfalls nachdenken. Hier ist, was Doug Bandow, ein ehemaliger Berater von Präsident Reagan, schreibt: „Die USA sollten eine unnötige Konfrontation mit Russland, einer großen Atommacht, wegen Interessen vermeiden, die der Kreml als lebenswichtig ansieht. Putin hat bewiesen, dass die Ukraine für ihn einen Kampf wert ist. Während die USA vorher nicht dieser Meinung waren und es auch jetzt nicht sind, kann sich Moskau keinen Rückzug leisten, was es zu einer zweitklassigen Macht machen würde. Die USA, die durch den Kalten Krieg gegangen sind und während der Kubakrise einen atomaren Konflikt vermieden haben, sollten nicht alles wegen etwas riskieren, das nie als wichtig, geschweige denn als lebenswichtig angesehen wurde.“

Die New York Times drang bei der Gelegenheit in die Tiefen des amerikanischen Geheimdienstes ein: „Der amerikanische Geheimdienst geht davon aus, dass Russland Amerika und seine Koalitionspartner wahrscheinlich eine entschiedene Antwort geben wird – einschließlich todbringender Angriffe –, wenn sie den ukrainischen Streitkräften den Einsatz von Langstreckenraketen erlauben, die die USA, Großbritannien und Frankreich geliefert haben, sagte ein Beamter. Allerdings würden sie nach ihrer Einschätzung bezweifeln, dass die Ukrainer selbst mit der von ihnen beantragten Erlaubnis über genügend Langstreckenraketen verfügen würden, um den Verlauf des Konfliktes dramatisch zu ändern.“

So oder so, es ist ein schwieriger Moment in einem schwierigen Kontext.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

2 Antworten

  1. Auch wenn das Gedächtnis des Deutschen für Gut und Böse dem des amerikanischen Präsidenten Biden ähnelt, indem der „Otto-Normal Deutsche immer das nachplappert was die Spickzettel-Medien ihm auf den Tagesschau-Bildschirm werfen….

    wird die Angst sich durchsetzen,

    …. auch wenn noch 10 HohlkopfPistoriusse ihre Nonsensgespräche ihnen vorkauen…

    Was macht mich so sicher?

    Das ist ganz einfach:

    Weil der letzte Finger am roten Knopf Putins Finger ist und die Amerikaner eben keine Selbstmörder sind. Putin kann noch abwarten. Sein Gehilfe die Angst wird stärker und stärker….

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