Die Gefahr eines Atomkriegs ist real geworden

Was die Änderung der russischen Atomdoktrin bedeutet

Russland hat eine Änderung seiner Atomdoktrin verkündet, aber die deutschen Medien reagieren kaum darauf. Hier zeige ich, was die Änderung bedeutet und wie russische Experten sie einschätzen. Wenig überraschend klingt das ganz anders als in deutschen Medien zu lesen ist.

Westlichen Medien waren die von Präsident Putin verkündeten Änderungen der russischen Atomdoktrin nur Randnotizen und hämische Kommentare darüber wert, dass der Westen schon so viele russische rote Linien überschritten habe, Russland aber nicht reagiert habe. „Putin blufft nur“, lautet der O-Ton zumindest der deutschen Medien zusammenfassend.

Das stimmt jedoch nicht, Putin hat nur – das mag für Konsumenten der Mainstream-Medien nach Unsinn klingen – eine schier endlose Geduld und den Wunsch, eine weitere Eskalation des hybriden Krieges, den der Westen in der Ukraine gegen Russland führt, zu einem „echten“ Krieg mit westlichen Ländern zu vermeiden. Aber vor allem deutsche Medien und Politiker scheinen das als Schwäche Putins auszulegen und plädieren für weitere Eskalationsschritte.

Man sollte nicht vergessen, dass Russland seit 2014 geduldig über eine Lösung des von Kiew mit Unterstützung der USA begonnenen Donbass-Krieges verhandelt hat. Es war die Ukraine, die das Minsker Abkommen (mit Unterstützung des Westens) nicht umgesetzt hat. Russland hat währenddessen seine roten Linien immer sehr deutlich gezogen: Ein NATO-Beitritt der Ukraine war die ultimative rote Linie.

Und als die USA und die NATO ab Ende 2021 immer offener für einen baldigen NATO-Beitritt der Ukraine getrommelt und auch Russlands Angebot vom Dezember 2021 abgelehnt hat, über gegenseitige Sicherheitsgarantien zu verhandeln, da sah die russische Regierung keinen anderen Ausweg mehr, als militärisch zu reagieren.

Wir sollten uns daher keinen Illusionen hingeben: Angriffe auf Ziele tief im russischen Hinterland mit westlichen Waffen und westlicher Unterstützung sind eine rote Linie, die Putin ähnlich deutlich markiert, wie seinerzeit einen möglichen NATO-Beitritt der Ukraine. Wie Russland auf solchen Beschuss konkret reagieren wird, weiß man wohl nur im russischen Generalstab und im Kreml, aber dass Russland darauf mit – wie auch immer gearteten – militärischen Maßnahmen gegen westliche Länder reagieren wird, daran sollte man besser nicht zweifeln.

Hier übersetze ich einen Artikel eines russischen Militärexperten, den die russische Nachrichtenagentur TASS veröffentlicht hat, in dem erklärt wird, was die angekündigten Änderungen der russischen Atomdoktrin bedeuten und der zeigt, wie man in Russland darüber denkt.

Beginn der Übersetzung:

Das Recht auf eine atomare Antwort und keine Signale für den Westen

Igor Korotschenko, Militäranalist, Chefredakteur der Zeitschrift „Nationale Verteidigung“ und Direktor des Zentrums für die Analyse des Weltwaffenhandels, über die Folgen die Änderung der Nukleardoktrin und welche Länder sie fürchten müssen

Der russische Präsident Wladimir Putin hielt am Mittwoch, den 25. September, eine Sitzung des Rates des russischen Sicherheitsrates zum Thema nukleare Abschreckung ab. Der öffentliche Teil umfasste diesmal eine einleitende Rede des Staatschefs, in der er über den Entwurf der aktualisierten russischen Nukleardoktrin sprach. Die aktuelle Fassung der russischen Nukleardoktrin, die überarbeitet werden soll, wurde im Juni 2020 verabschiedet. Sie löste ein ähnliches Dokument ab, das zehn Jahre zuvor verabschiedet worden war.

Vergeltungsschlag

Die Änderungen der Nukleardoktrin, die Putin auf der Sitzung des russischen Sicherheitsrates zum Thema nukleare Abschreckung ankündigte, sind das Ergebnis von Veränderungen der militärischen und politischen Lage in der Welt in Bezug auf die Bedrohungen und Herausforderungen für die Sicherheit Russlands. Es ist klar, dass mit dem Beginn der Militäroperation und der Schaffung der faktischen westlichen Koalition der militärischen Gegner Russlands hinter der Ukraine für uns völlig neue sicherheitspolitische Herausforderungen und Bedrohungen von großer Bedeutung entstanden sind.

Es ist offensichtlich, dass wir mit den beschlossenen Änderungen genau auf diese Herausforderungen reagieren.

Der Schlüsselfaktor ist, dass Moskau nun als Reaktion auf eine Aggression gegen Russland mit konventionellen Streitkräften und konventionellen Waffen das Recht erklärt hat, mit einem Atomschlag zu antworten.

Was die Formulierung über die Aggression durch einen Nicht-Nuklearstaat, aber mit Beteiligung oder Unterstützung eines Nuklearstaates betrifft, so kann man sie beliebig auslegen. Aber wir gehen davon aus, dass, wenn der NATO-Block gemeinsam oder als Teil einer Koalition von NATO-Staaten Feindseligkeiten gegen Russland beginnt, oder wenn ein einzelner nicht-nuklearer Staat, der Mitglied der NATO ist, als erster Feindseligkeiten mit Russland beginnt (wir meinen den Tatbestand der Aggression), Russland als Antwort darauf Atomwaffen einsetzen kann.

Das haben wir früher nicht geplant. Jetzt können wir es, zumindest auf der doktrinären Ebene.

Was bedeutet das? Zum Beispiel, wenn, sagen wir, Polen ein Militärkontingent in der Ukraine stationiert und militärische Operationen gegen die russischen Streitkräfte einleitet. Oder wenn Rumänien oder Polen anfangen, russische Flugzeuge oder russische Marschflugkörper im ukrainischen Luftraum abzuschießen. Das kann von Moskau als völkerrechtlicher Tatbestand der Aggression gewertet werden, und dementsprechend haben wir das Recht, gegen diese Staaten Atomwaffen einzusetzen. Natürlich gegen militärische Ziele.

Oder nehmen wir an, dass die Amerikaner uns mit luft- oder seegestützten Marschflugkörpern mit konventioneller Bestückung angreifen. Das ist für uns ein casus belli (ein formaler Grund, den Krieg zu erklären), und als Antwort darauf können wir beispielsweise Atomwaffen gegen die USA einsetzen. Ob ein casus belli vorliegt, wenn amerikanische oder britische Präszisionslangstreckenraketen von der Ukraine aus Ziele in Russland treffen, ist eine Frage für den Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte. Er wird entscheiden, wie wir in jedem einzelnen Fall reagieren und welche Mittel – konventionelle oder atomare – wir zur Bekämpfung einsetzen werden.

Das ist etwas grundlegend Neues, das hat es noch nie gegeben. Jetzt gehen wir bei einer Aggression der NATO als Block oder des einen oder anderen NATO-Landes gegen uns mit konventionellen Kräften davon aus, dass ihre Verbündeten drei nuklear bewaffnete Staaten sind: Die USA, Großbritannien und Frankreich. Jeder Angriff mit konventionellen Marschflugkörpern auf Russland ist ohne amerikanische Planung, nachrichtendienstliche Unterstützung und das amerikanische Satellitennavigationssystem unmöglich. Russland sieht das also bereits als Gelegenheit für einen atomaren Vergeltungsschlag.

Taktisch oder strategisch?

Das Gleiche gilt für Weißrussland. Weißrussland ist Mitglied des Unionsstaates. Wir haben eine gemeinsame Militärplanung und einen gemeinsamen Verteidigungsraum. Im Falle einer Aggression gegen Weißrussland durch Litauen oder Polen mit konventionellen Streitkräften behält sich Russland das Recht vor, einen nuklearen Vergeltungsschlag gegen diese Länder, gegen militärischen Einrichtungen und Invasionsgruppen zu führen.

Das sind völlig neue Anpassungen, die natürlich nicht alle im öffentlichen Teil niedergeschrieben sind, sondern im geheimen Teil, in dem alle Situationen, in denen Atomwaffen eingesetzt werden, detaillierter beschrieben werden. Die wichtigste Änderung ist jedoch die Möglichkeit einer nuklearen Antwort auf jede Art von Aggression gegen Russland mit jeder Art von Waffen.

Wie wird Russland reagieren? Mit welcher nuklearen Komponente? Ob taktisch oder strategisch, das bestimmt die konkrete militärpolitische Situation, die sich entwickelt.

Wir brauchen nicht zu sagen, dass dies unsere nächsten „roten Linien“ sind oder dass wir ein weiteres Signal an den Westen senden. Wir senden gar nichts an irgendjemanden. Die Zeit ist reif für praktische Maßnahmen.

Das Wichtigste ist jetzt, dass der Generalstab der russischen Streitkräfte die entsprechenden Anweisungen erhält und auf der Grundlage der neuen Realitäten mit der Planung dieser oder jener Varianten unserer Operationen und Aktionen beginnt. Die gab es vorher nicht, aber jetzt sind sie da. Und das erfordert eine ernsthafte organisatorische und operative Arbeit, um zu beurteilen, mit welchen Mitteln, wo und unter welchen Umständen wir Atomschläge durchführen werden.

Wir haben strategische Nuklearstreitkräfte. Unter den neuen Bedingungen sind meines Erachtens alle Voraussetzungen für die Schaffung eines Kommandos zur Führung der nicht-strategischen Nuklearstreitkräfte gegeben.

Beim jüngsten Manöver der nicht-strategischen Nuklearstreitkräfte wurden die Fragen der Übergabe von Atomsprengköpfen aus den Einrichtungen der 12. Hauptdirektion des russischen Verteidigungsministeriums an die Truppen, ihrer Lieferung, das Anbringen an die Trägersysteme, der technischen Überprüfung, der Einholung der entsprechenden Genehmigungen durchgearbeitet und dann im Manöver geübt.

Die Frage, die es zu beantworten gilt, kann sein, ob man die Raketenbrigaden, die mit Iskander-M-Raketen ausgerüstet sind, schon jetzt mit taktischen Atomsprengköpfen ausrüsten sollte. Oder nicht?

Hier gibt es eine Reihe von sehr sensiblen Punkten, die eine sehr ernsthafte Planung erfordern. Wie werden die Befehle für den Kampfeinsatz von taktischen Atomwaffen übermittelt? Es könnte ein Szenario geben, in dem der Gegner einen groß angelegten Schlag gegen Russland führt, um das Kommando- und Kontrollsystem der Streitkräfte und die oberste militärische und politische Führung zu vernichten. Wie müssen die Techniken für den Vergeltungsschlag unter solchen Bedingungen aussehen? All das muss der russische Generalstab im Detail durchdenken und dem russischen Sicherheitsrat und dem Präsidenten als konkrete Pläne zur Genehmigung vorschlagen.

Man muss schon jetzt verstehen, wie das geschehen soll. Wird genügend Zeit zur Verfügung stehen, um beispielsweise taktische Nuklearsprengköpfe aus den Einrichtungen des 12. Hauptdirektion des russischen Verteidigungsministeriums zu den Truppen zu bringen, wenn sich die Situation schnell und unvorhersehbar entwickelt? Das sind sehr ernste Fragen. Wir warten auf eine Antwort des Generalstabs der russischen Streitkräfte.

Was die russischen strategischen Nuklearwaffen betrifft, so sind sie in ständiger Kampfbereitschaft, das System zur Übermittlung von Abschussbefehlen bis hin zum einzelnen Abschuss ist mehrfach dupliziert. Alles ist in voller Kampfbereitschaft.

Ende der Übersetzung


Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

13 Antworten

  1. Ein erschreckendes, vom Westen provoziertes Szenario. Ich hoffe, die russischen Planer stellen sicher, dass nichts von den Verbrechern im Westen übrigbleibt, falls es zum Äußersten kommt.
    Warum wachen die Völker des Westens nicht endlich auf und befreien sich von den Strategen des Nieder- und des Untergangs?

    1. Sie werden aufwachen. Garantiert aufwachen, da es nun auch genügend wirkliche Experten gibt, es ein volles algternatives Netz gibt und vor allem, sich zumindest die Ostdeutschen nicht mehr verarschen lassen.

      Zur Sache:
      Ich denke, dass meine Einschätzung einen großen Anteil an Realitätssinn beinhaltet…, verglichen eben mit der durch die Tass dargestellte Realität im Ablauf.

      https://anti-spiegel.ru/2024/putins-letzte-warnung-an-den-westen/#comment-305006
      .
      .

      1. Wüssten das die „normalen“ menschen, was da läuft, gäbe es wohl einen Shitstorm sondersgleichen. Aber die Medien hier im Westen sind kontrolliert von den Nazis, die hier wohl augenscheinlich das Sagen haben. Wissen ist eine Holschuld. Nur holt das die masse eben nicht.

  2. „Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.“

    Quelle: https://beruhmte-zitate.de/werk/die-kunst-des-krieges-7333/

    Das werden die präpotenten Westler nie verstehen deshalb verlieren sie alle Kriege.

    1. Deutschland scheint bis jetzt noch nicht begriffen zu haben, daß Russland nicht zu besiegen ist.
      Im Gegenteil, es wird sich sogar noch lustig gemacht, über die Nuklear Doktrin.
      Ich habe heute einen Spruch gelesen, der hier wohl ganz gut passt:

      Manchen Völkern genügt eine Katastrophe um sie zur Besinnung zu bringen.
      Bei den Deutschen so scheint es, bedarf es den Untergang.

      Arthur Möller-van den Bruck
      Kulturhistoriker 1876 – 1925

      Da hat sich bis heute nichts daran geändert.

      Gegen Dummheit gibt es keine Waffen – Westen hält Moskaus „Atomdrohungen“ immer noch für einen Bluff

      Die Anpassung der russischen Nukleardoktrin lässt den Westen unbeeindruckt. Experten sehen darin lediglich ein weiteres Element der „psychologischen Kriegsführung“ des Ex-Geheimdienstlers Putin, der mit den „Ängsten“ des westlichen Wahlvolks spielt. Ein Denkprozess findet nicht statt, zu hören ist bislang nur reflexartige Häme.
      https://freedert.online/meinung/220652-gegen-dummheit-gibt-es-keine/

  3. Es gibt „den Westen“ nicht – es regiert auch nicht „die USA“ – sondern eine Minderheit, wie ein Parasit im Hirn die Mehrheit. Nicht „die Juden“ aber es sind Juden und ihr Gefolge.
    Geld regiert die Welt und wer das Geld?

  4. „auf Ziele tief im russischen Hinterland“

    Was soll das überhaupt sein? Gibts da eine offizielle Grenze?
    Man könnte das Ganze ernster Nehmen wenn es sich nicht auf solche schwammigen Formulieren stützen würde.

  5. Die Änderungen der Doktrin zum Einsatz von Atomwaffen ist logisch und folgerichtig. Denn die aktuelle Doktrin lädt die USA und ihr Vehikel NATO geradezu dazu ein, die Ukraine als Aufmarschplatz für einen vernichtenden Schlag gegen Russland mit konventionellen Waffen zu nutzen. Russland hat endlich erkannt, dass die NATO geopolitisch und militärisch in einer überlegenen Position ist. Um dieses Defizit auszugleichen, muss man bereit sein, auch die stärkste Waffe nutzen, die man hat.

  6. Ist schon ein Jammer um Wladimir Putin. Er weiß einerseits genau, dass die US-Marionetten aus der EU die volle Eskalation wollen aber weiß andererseits auch, dass die Bevölkerungen der EU Länder das größtenteils nicht wollen. Leider wird wohl irgendwann der X kommen andem der EU Kommissions Abschaum die letzte rote Linie überschreitet und es zum Gegenschlag kommt. Der Ami in Übersee lacht sich dabei einen Ast und befreit sich dabei von all seiner Staatsverschuldung.

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