Ukraine: Endspurt im Wahlkampf – Klare Mehrheit für Selensky, Nervosität im Lager Poroschenko
Nur noch wenige Tage bleiben bis zur Stichwahl in der Ukraine. Der wohl schmutzigste Wahlkampf in der europäischen Nachkriegsgeschichte geht zu Ende.
In Umfragen konnte der Gegenkandidat von Präsident Poroschenko seinen Vorsprung wenige Tage vor der Wahl am Ostersonntag noch einmal ausbauen. Nach einer Umfrage des Kiewer internationalen Instituts für Soziologie wollen 72% für Selensky stimmen und nur 25% für Poroschenko. Ohne Wahlfälschung kann Poroschenko die Wahl nicht mehr gewinnen, und sogar mit Fälschungen wird es bei einem so deutlichen Vorsprung des Gegenkandidaten schwierig.
Außerdem schauen die Umfragen in der Ukraine bereits auf die Parlamentswahlen im Oktober. Die neue Partei „Diener des Volkes“ von Selensky führt auch diese Umfragen mit 26% an, gefolgt von der „Oppositionsplattform für das Leben“, die den ethnischen Russen im Osten des Landes nahe steht und auf 16% kommt. Erst danach kommt der „Block Poroschenko Solidarnost“ mit 14%, dann die „Vaterlandspartei“ von Julia Timoschenko mit 13%. Danachn kommen noch vier Parteien, die sich alle um die Fünf-Prozent-Hürde herum bewegen.
Das sind insgesamt überraschende Ergebnisse. Vor dem Maidan und seinen Folgen war das Land gespalten, 40% ethnischen Ukrainern standen 40% ethnische Russen gegenüber, was dazu geführt hat, dass bei den Wahlen immer abwechselnd mal die eine, mal die andere Seite gewann. Nachdem nun mit der Krim und den Bürgerkriegsgebieten große Teile der russischen Landesteile nicht mehr an den Wahlen teilnehmen, war zu erwarten gewesen, dass pro-russische Parteien keine Chance mehr auf Mehrheiten haben.
Nun ist Selensky nicht ausdrücklich pro-russisch. Er kommt zwar aus dem Osten des Landes und ist auf russisch aufgewachsen, aber seine Positionen würde ich als gemäßigt pro-westlich bezeichnen. Er steht für den Eintrtitt der Ukraine in die Nato und die EU, auch wenn er die endgültigen Entscheidungen darüber bei landesweiten Referenden dem Volk überlassen will. Andererseits spricht er sich für ein sofortiges Ende des Blutvergießens im Osten des Landes aus und ist bereit, mit allen Beteiligten zu verhandeln, sowohl mit den Rebellen, die er nicht als „Terroristen“ sondern als „Bürger der Ukraine“ bezeichnet und auch mit Putin. Wie Selensky mal sagte, man müsse reden und reden, auch wenn es weh tun würde, notfalls bis einem „die Ohren bluten“.
Das sind neue Töne in der ukrainischen Politik, in der Poroschenko fünf Jahre lang vom „totalen Krieg“ gesprochen, Putin verteufelt und Gespräche mit den Rebellen abgelehnt hat. Und diese Töne kommen anscheinend im ganzen Land gut an, denn Umfragen haben ergeben, dass das brennendste Problem für die Menschen der Krieg im Osten ist, noch vor den sozialen Problemen im ärmsten Land Europas.
Das Problem ist, dass es bereits zweimal in den letzten 15 Jahren pro-russische Mehrheiten bei ukrainischen Wahlen gegeben hat, wobei „pro-russisch“ übertrieben ist. Es waren eher Mehrheiten für eine Politik des Ausgleichs zwischen Ost und West, die für die Ukraine eine Art Brückenfunktion zwischen dem Westen und Russland gesehen haben. Und beide Male haben westliche NGOs in der Ukraine dagegen Aufstände organisiert, zuerst die „Orangene Revolution“, dann den Maidan, freilich ohne dass es dem Land danach besser gegangen wäre, im Gegenteil.
Das ist die Gefahr: Wenn Selensky die Wahlen gewinnt und danach auch noch die Parlamentswahl im Oktober, dann könnte die Ukraine erneut im Chaos versinken, anstatt endlich zur Ruhe zu kommen.
Aber das ist Zukunftsmusik. Derzeit machen sie die Anhänger Poroschenkos um ihre eigene Zukunft Sorgen, denn unter Poroschenko ist ein tiefer Sumpf aus Korruption und Abhängigkeiten entstanden und vielen droht nach einem Machtwechsel das Gefängnis. Dass sich im Apparat Unruhe breit macht, zeigt eine Meldung vom Generalstaatsanwalt, der Poroschenko persönlich beschuldigt, die Ermittlungen zu den Todesschüssen auf dem Maidan verschleppt zu haben.
Das ist nichts Neues, das UNHCR hat dies in über 20 Berichten zur Lage in der Ukraine seit 2014 kritisiert. Der letzte Bericht ist vom Stand 16. November 2018 und wurde am 15. Februar 2019 veröffentlicht.
Neu ist, dass solche Vorwürfe nun aus Poroschenkos eigenem Lager kommen. Das zeigt, wie groß die Nervosität im Lande ist, denn noch vor vier Wochen hätte der Generalstaatsanwalt sich kaum getraut, so etwas öffentlich zu sagen.
Unterdessen ist auch wenige Tage vor dem angekündigten Duell der Kandidaten im größten Stadion des Landes immer noch unklar, ob die Debatte stattfinden wird. Nachdem Poroschenko diese wochenlang selbst gefordert hatte, versucht mit immer neuen Forderungen, diese Debatte zu verhindern, indem seine gegebene Zusage an immer neue Bedingungen knüpft, während Selensky auf der gegebenen Zusage beharrt.
Nachtrag: Die Situation spitzt sich zu. Ukrainische Ermittlungsbehörden haben mitgeteilt, ein Verfahren gegen die Maidan-Regierung wegen der Todesschüsse von 2014 eröffnet zu haben. Namentlich genannt werden die führende Köpfe das Maidan.
Währenddessen meldet der Stab von Poroschenko, dass er sich mit den Bedingungen von Selensky einverstanden erklärt hat, damit steht der öffentlichen Debatte der Kandidaten im Stadion anscheinend nichts mehr im Wege.
Und die „Oppositionsplattform“, die von den ethnischen Russen im Land unterstützt wird, hat vorsichtig Unterstützung für Selensky angekündigt, wenn dieser tatsächlich ernst machen sollte mit seinen Initiativen für ein Ende des Krieges im Land. Das kann man als Wahlempfehlung für die Anhänger der „Oppositionsplattform“ verstehen, am Sonntag für Selensky zu stimmen, was Selenskys Vorsprung vor Poroschenko noch einmal vergrößern würde.
Wenn Sie sich für die Ukraine nach dem Maidan und für die Ereignisse des Jahre 2014 interessieren, als der Maidan stattfand, als die Krim zu Russland wechselte und als der Bürgerkrieg losgetreten wurde, sollten Sie sich die Beschreibung zu meinem Buch einmal ansehen, in dem ich diese Ereignisse detailliert auf ca. 800 Seiten genau beschreibe. In diesen Ereignissen liegt der Grund, warum wir heute wieder von einem neuen Kalten Krieg sprechen. Obwohl es um das Jahr 2014 geht, sind diese Ereignisse als Grund für die heutige politische Situation also hochaktuell, denn wer die heutige Situation verstehen will, muss ihre Ursachen kennen.
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