Vor Wladiwostok: Russischer Zerstörer droht, US-Zerstörer zu rammen – Was sind die Hintergründe?
Gestern haben russische Medien gemeldet, ein US-Zerstörer sei in russische Gewässer eingedrungen und habe diese erst verlassen, nachdem ein russischer Zerstörer gedroht hat, ihn zu rammen. Da war ich gespannt, wie in Deutschland berichtet wird und wie erwartet hat der Spiegel ganze Arbeit dabei geleistet, die wichtigen Hintergründe zu verschweigen.
Auf den Spiegel (und andere „Qualitätsmedien“) ist Verlass. Es gibt immer wieder Meldungen, die ich zuerst aus russischen Medien erfahre und bei denen ich schon vorher weiß, wie die „Qualitätsmedien“ berichten werden. So auch dieses Mal. Schauen wir uns zunächst den Vorfall selbst und dann die Hintergründe an, von denen Spiegel-Leser nichts erfahren.
Am Dienstag ist der US-Zerstörer John McCain in die Peter der Große Bucht eingefahren, so heißt die große Bucht, an der Wladiwostok liegt. Daraufhin hat ein russischer Zerstörer gedroht, den US-Zerstörer zu rammen, wenn er die russischen Hoheitsgewässer nicht verlässt, woraufhin der US-Zerstörer das Gebiet – begleitet von dem russischen Zerstörer und einer hinzu gekommenen russischen Korvette – verlassen hat.
Soweit die Fakten, nun kommen wir zu dem Streitpunkt.
Die Peter der Große Bucht
Die Sowjetunion hat 1957 die gesamte Bucht aufgrund von historischen Ansprüchen zum russischen Hoheitsgewässer erklärt und damit ihre Hoheitsgewässer über die normalerweise übliche 12-Meilen-Zone ausgeweitet. Man kann darüber streiten, aber wer sich die Landkarte anschaut, versteht die Logik der Sowjets (und heute Russlands), die eine gerade Linie zwischen ihren Küsten an Eingang der Bucht gezogen haben, denn die Bucht wird komplett von russischem Gebiet umschlossen und es gibt auch keine fremden Ansprüche auf die Gewässer.
Die USA (und der Westen insgesamt) spielen sich gerne als Beschützer der freien Seefahrt auf und provozieren so immer wieder Konflikte, wenn US-Kriegsschiffe zum Beispiel demonstrativ zwischen Taiwan und Festlandchina kreuzen. Die freie Seefahrt wird dort von niemandem gestört, aber die USA provozieren unter dem Vorwand China gießen Öl ins Feuer der Taiwan-Frage.
Anders herum macht der Westen immer wieder einen Riesenaufstand, wenn russische Schiffe zum Beispiel die internationalen Gewässer im Ärmelkanal durchqueren. Frei soll die Schifffahrt für den Westen sein, aber nicht unbedingt für andere.
Die USA haben nie anerkannt, dass Russland die ganze Peter der Große Bucht als Hoheitsgewässer beansprucht und berufen sich dabei auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen. Das Problem dabei: Die USA sind dem Abkommen nie beigetreten. Sie verlangen also von Russland, ein Abkommen einzuhalten, das die USA nicht anerkennen. Und ob der russische Schritt tatsächlich gegen das Abkommen verstößt, ist die nächste Frage. Die müsste in der UNO behandelt werden, aber nicht von den USA, die nicht einmal Mitgliedsstaat in dem Abkommen sind.
Die USA und die freie Seefahrt
In diesem Jahr haben die USA vier iranische Tanker aufgebracht, die iranisches Öl nach Venezuela bringen sollten. Der Grund war, dass die USA Sanktionen gegen beide Länder verhängt haben. Solche US-Sanktionen haben keine internationale Gültigkeit, internationale Gültigkeit haben nur Sanktionen, die der UN-Sicherheitsrat verabschiedet. Was die USA getan haben, als sie fremde Schiffe in internationalen Gewässern gekapert haben, ist nichts anderes, als Piraterie.
Das Öl, das die Tanker geladen hatten, haben die USA – ganz in der Tradition der Freibeuter – dann verkauft. Die freie Seefahrt interpretieren die USA also sehr einseitig und völlig anders, als es das Völkerrecht vorsieht.
Was Spiegel-Leser erfahren
Im Spiegel ist zu dem Vorfall ein Artikel mit der Überschrift „Japanische See – Russisches Kriegsschiff droht US-Zerstörer mit Ramm-Manöver“ erschienen. Schon die Überschrift lenkt davon ab, dass der Vorfall sich in russischen Gewässern zugetragen haben könnte. Stattdessen suggeriert die Überschrift allen, die nur die Überschrift lesen, ein russisches Schiff hätte im Japanischen Meer – also in zweifelsfrei internationalen Gewässern – einem US-Zerstörer mit einem Ramm-Manöver gedroht und der Spiegel-Leser denkt sich nur „Die bösen Russen mal wieder.“
Wenn ein Leser den Artikel anklickt und liest, dann findet er einen Artikel, in dem Spiegel über den Vorfall in der Sache korrekt berichtet, aber über das Kernproblem, die Hintergründe der Peter der Große Bucht, erfährt der Spiegel-Leser nur folgendes:
„Russland beansprucht die gewaltige Bucht noch aus Sowjet-Zeiten als eigenes Seegebiet. Das allerdings akzeptiert die US-Seite nicht, wie Keiley weiter erklärte: »Die Sowjetunion hat damals mehr eigenes Gewässer – und Gewässer weiter von der Küste entfernt – beansprucht, als ihr nach internationalem Recht zustehen würde.«“
Die russische Seite kommt nicht zu Wort, es wird nur die Sicht der USA vermittelt. Hinzu kommt, dass der Spiegel verschweigt, dass die USA selbst dem Abkommen, auf das sie sich berufen, gar nicht beigetreten sind. Am Ende folgt in dem Spiegel-Artikel noch dieser Absatz:
„Mit der Aktion der »John S. McCain« hätten die USA demonstriert, dass diese Gewässer nicht zum russischen Gebiet gehören und dass die USA den historischen Anspruch Russlands auf die Peter-der-Große-Bucht nicht akzeptieren.“
Stehen die USA über dem Völkerrecht?
Was genau gehen die USA Ansprüche Russlands auf Gewässer an, um die es keinerlei Streit gibt, die von drei Seiten von russischen Küsten umschlossen sind und die viele tausend Kilometer von den USA entfernt sind? Die Frage stellt der Spiegel nicht.
Man stelle sich das einmal umgekehrt vor und ein russisches Kriegsschiff würde an den Seegrenzen der USA vor San Francisco kreuzen. Die USA würden das als aggressiven Akt empfinden und die Medien würden von einer grundlosen russischen Provokation berichten, denn was hat ein bis an die Zähne bewaffneter russischer Zerstörer vor der US-Küste zu suchen?
Warum maßen sich die USA an, anderen Ländern vorzuschreiben, wo ihre Grenzen zu verlaufen haben? Noch dazu, wenn sie selbst den entsprechenden völkerrechtlichen Abkommen gar nicht beigetreten sind.
Nach meinem Verständnis gehört zum Journalismus, den Leser umfassend zu informieren und beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, anstatt einseitig die Erklärungen der US-Marine zu zitieren. Sollte die Grenzzieung Russlands in der Peter der Große Bucht gegen das Seerecht verstoßen, dann gehört das Thema in das zuständige UN-Gremium, denn es ist ein UN-Vertrag.
Aber für den Spiegel braucht es keine UNO, es reicht, wenn die USA etwas verkünden. Das ist für den Spiegel die absolute Wahrheit.
2 Antworten
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Die Russen verstehen etwas von Territorialverteidigung. Bei dem Grenzverkauf zu Nordkorea und China, das dort gar keinen Zugang zum Meer hat, kann ich nur staunen, wie die Russen das machen. Das Riesenreich mit unglaublich langer Grenze und zahlreichen Nachbarländern wurde nach Weltkrieg 2 sogar noch größer, Deutschland dagegen schrumpfte, und nun lassen die Deutschen ihr im Weltmaßstab kleines Land obebdrein von Volksfremden besiedeln. In Russland weiß man, worauf es ankommt, die Deutschen haben sich von den Westbesatzern verblöden lassen u.a. mit Holocaust-Schuldgefühlen. Eine Rolle spielt auch der Neid der Europäer und der Deutschen untereinander.
Eine historische Tatsache ist, das die US-amerikanische Führung mit dummdreisten Lügen arbeitet, nach dem Motto „Frechheit siegt“.
Die US Marine hat heute kundgetan, dass man „Russlands übermäßige Ansprüche auf See infrage stelle“. So geil die Amis. Schippern in russischen Gewässern umher und reden von übermäßigen Ansprüchen Russlands. Das ist doch dummdreist. Gleichzeitig faselt Biden vom Führungsanspruch der USA. Hätten wir Politiker mit Hirn und Rückgrat hätten die Titelzeilen heute in etwa so ausgesehen:
USA wieder Führer der freien Welt – O Ton (imaginierter) Politiker mit Rückgrat: „Schöne Grüße aus Deutschland; wir brauchen keinen Führer.“