Warum der Anti-Spiegel bisher nicht über die Proteste im russischen Fernen Osten berichtet hat

Ich bekomme immer mehr Mails mit Fragen nach den Protesten im russischen Chabarovsk. Dort demonstrieren seit drei Wochen tausende gegen die Verhaftung des Gouverneurs der Region. Warum hat der Anti-Spiegel bisher nicht darüber berichtet?

Da ich sehr viel aus und über Russland berichte, müsste hier einiges über die Proteste in Chabarovsk zu lesen sein. Das Problem dabei ist, dass ich dem, was in Deutschland berichtet wird, in der Sache nicht viel hinzufügen kann, denn erstens bin ich nicht in Chabarovsk und kann daher aus erster Hand nichts berichten und zweitens sind die Berichte der deutschen Medien in der Sache korrekt und decken sich mit dem, was auch in Russland berichtet wird.

Der Gouverneur der Region, Sergej Furgal, hat dort die Wahlen gegen den Kandidaten der „Putin-Partei“ gewonnen. Furgal ist Mitglied der Partei LDPR von Wladimit Schirinowski. Schirinowski ist für teilweise radikale Forderungen bekannt und ganz sicher nicht pro-westlich. Seine Partei ist also nicht die Art von russischer Opposition, die den westlichen Medien gefällt und die sie unterstützen würden. Das dürfte der Grund sein, warum die westlichen Medien die Proteste nicht allzu sehr befeuern, sondern für ihre Verhältnisse erstaunlich sachlich berichten. Das war bei anderen – wesentlich kleineren – Protesten in Russland, bei denen die Organisatoren aber pro-westlich waren, ganz anders.

Furgal ist ein Geschäftsmann, dem vorgeworfen wird, in den „wilden Zeiten“ des russischen Raubtierkapitalismus Konkurrenten ermordet zu haben. Möglich, dass das wahr ist, denn solche Morden gehörten früher fast zum Alltag in Russland. Allerdings stellt sich natürlich die Frage, warum diese Vorwürfe ausgerechnet jetzt erhoben wurden und nicht schon vor 15 Jahren. Andererseits wäre das nicht der erste Mord auf der Welt, der erst nach vielen Jahren aufgeklärt wurde.

Wenn deutsche Medien die These aufstellen, der Kreml habe die Niederlage bei der Wahl nicht akzeptiert und daher den Gouverneur mit dem Mordvorwurf aus dem Verkehr gezogen, so ist das nicht überzeugend. Der Grund ist, dass viele Gouverneure nicht von der Regierungspartei, sondern von anderen Parteien gestellt werden und dass der vom Kreml ernannte Übergangsgouverneur, der sich später zur Wahl stellen muss, ebenfalls von der LDPR kommt. Es wurde also kein Parteifreund von Putin eingesetzt.

In Russland berichtet das Fernsehen täglich über die Proteste. Im heutigen Artikel kann man zum Beispiel auch lesen, dass solche Proteste auch in anderen Städten der Region stattfinden. Die Proteste werden von der Polizei nicht verhindert, obwohl in Russland wegen Corona solche Massenveranstaltungen derzeit gar nicht erlaubt sind. Gleichzeitig berichtet das russischen Fernsehen auch über den neuen Gouverneur und wie er nun versucht, sich vor Ort einzuarbeiten.

Ich kann also zu den Ereignissen im russischen Fernen Osten nichts erzählen, was nicht ohnehin in den deutschen Medien berichtet wird. Und auch die russischen Medien berichten in der Sache nicht anders, als die deutschen. Natürlich ist die deutsche Berichterstattung mit der traditionellen Kritik an Putin und seiner Regierung angefüllt, das ist aber nichts besonderes. Die russischen Medien berichten sachlich über die Vorwürfe gegen Furgal, über seinen ernannten Nachfolger und über die Proteste.

Ich kann bisher nichts interessantes zu dem Thema beisteuern, daher habe ich bisher nicht darüber berichtet.

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

5 Antworten

  1. Genau diese „zufällig“ eingestreute Kritik ist der Brandbeschleuniger, mal wieder.
    Das Putins Partei damals die Wahl verloren hat ist das Ergebnis eines demokratischen Prozesses.

    Der Vorwurf man würde jetzt 2 Jahre später reagieren ist absurd.
    Ich verstehe nicht warum die Menschen es mal ebenso vom Tisch wischen wollen das man Morde also Straftaten versucht aufzuklären. Schließlich wurde von Seiten der Opposition genau das immer gefordert.

    Sollte nicht darauf das Augenmerk liegen?
    Wenn die Beschuldigten aus diesen ihnen vorgeworfenen Taten einen persönliche Vorteil zogen dann soll das eingezogen werden und von mir aus auch gern vor Ort reinvestiert werden.

    Aber richtig und wichtig ist eine saubere Aufklärung, ein sauberer Prozess und ein lupenreines Urteil.
    Und genau da setzt diese unterschwellige Kritik schon an.

  2. *** „wilden Zeiten“ des russischen Raubtierkapitalismus Konkurrenten ermordet zu haben. ***

    Wie alle Mafia Bosse / Oligarchen. Denn NUR mit kleinen Verbrechen ( Betrügereien, Erpressung, Körperverletzung ), wird man ein bisschen Reich, mit normalen Verbrechen ( Betrügereien, Erpressung, Bestechung, Körperverletzung, Mord ) wird man Reich und mit großen Verbrechen ( Betrügereien, Erpressung, Bestechung, Körperverletzung, Serienweise Morde ) , wird man richtig Reich.

  3. In Russland wurden schon mehrere Gouverneure abgesetzt bzw. ausgetauscht. Einige haben noch eine „Vergangenheit“. Ein entfernter Verwandter meiner Frau, der in dieser Region lebt, hat ihr erzählt, dass dort jeder wußte, was gelaufen ist und das die Verhaftung überfällig war. Es gibt, wie im Durchschnitt der Bevölkerung auch bei Gouverneuren gute und schlechte Figuren. In der einen oder anderen Region gibt es noch „Auffälligkeiten“, in anderen Regionen läuft es sehr gut, wie z.B der letzte Gouverneur in der Region Krasnodar, der sehr viel positives bewegt hat. In der Region Rostov dagegen wurde ein Bürgermeister einer Stadt dieser Region, wo es bei ihm „Auffälligkeiten“ gab und er gehen mußte, in der Region zum Minister ernannt. Es gibt noch viel zu tun in diesem großen Land. Wobei die Beschuldigung von Morden natürlich noch eine ganz eigene Hausnummer ist.

  4. „Einiges Russland“ (Edinaja Rossija) ist nicht Putin´s Partei. Premier-Minister D. Medwedew ist Partei-Vorsitzende von „Einiges Russland“. Verstehe nicht, wieso versucht man ständig Putin zu Lider von „Einiges Russland“ zu erklären…

  5. Es kann rechnerisch leicht festgestellt werden, wie viele an der Demo teilgenommen haben. Die Strecke zwischen Brandenburger Tor und der Siegesseule 2,7km lang ist. Die Straße hat auf beiden Seiten 3 Spuren mit Seitenstreifen und Mittelstreifen. Ich schätze die Breite der Straße daher auf ca. 30m.
    2700 x 30 = 81000m²
    Wenn jetzt auf einen m² 2 Personen kommen, dann sind das 162000 Demonstranten.
    Ich denke die Tagesschau hat da eine Null weggelassen, aber es sind sicherlich auch nicht eine Millionen gewesen wie einigen Demonstranten berichtet haben.
    Ich finde es dennoch bemerkenswert, dass so viele an der Demo teilgenommen haben. Schließlich ist es nicht einfach und es erfordert Mut sich gegen den Main Stream zu stellen.
    Zu einer politisch gewollten Demo zu gehen ist da doch viel angenehmer. Dann kommt man nach Hause und in den Nachrichten wird man dann schön für die Teilnahme gelobt.
    Meine Hochachtung an alle, die an dieser Demo Teilgenommen haben.

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