Corona-Lage in Russland: Wie die Menschen leben und welche Hilfen der Staat anbietet
Ich werde immer wieder gebeten, über die Lage in Russland in Bezug auf Corona zu berichten, was ich hier nun mal wieder tun werde.
Aus eigenem Erleben kann ich nicht viel erzählen. Ich lebe in St. Petersburg, wo die meisten Einschränkungen noch gelten, weil Petersburg eine der Städte in Russland ist, in denen es viele Infizierte gibt. Man soll möglichst zu Hause bleiben, auch wenn seit einer Woche die meisten wieder zu Arbeit dürfen. Wer auf die Straße geht, muss Maske und Handschuhe tragen.
Da ich ohenhin zu Hause arbeite, hat sich für mich nicht viel geändert. Lediglich Freunde treffe ich jetzt natürlich kaum noch. Einmal die Woche treffen wir uns mit Freunden, mal bei mir, bei jemand anderem zu Hause. Dann sitzen wir zusammen, trinken ein Bierchen, spielen ein paar Gesellschaftsspiele und „quatschen“ ein wenig. Viel mehr kann ich über die Lage nicht berichten, denn hier war seit Ende März praktisch alles geschlossen, außer Lebensmittelgeschäften und Apotheken. Zur Arbeit durfte nur, wer in einem „systemrelevanten“ Betrieb gearbeitet hat.
Seit dem 11. Mai werden auch in Russland die Einschränkungen gelockert, wobei jede Region darüber entsprechend der Lage vor Ort entscheidet. Es gibt keine Russland weit geltenden Regelungen. Das russische Fernsehen hat am Sonntag in der Sendung „Nachrichten der Woche“ über die aktuelle Lage und vor allem über die Hilfspakete für Menschen und Wirtschaft berichtet, die die Regierung nun beschlossen hat. Da ich zu dem Thema so viele Mails bekommen habe, habe ich den Bericht des russischen Fernsehens übersetzt.
Hier werden nur die zusätzlich neu beschlossenen Maßnahmen erwähnt, über die vorherigen Programme hatte ich schon berichtet.
Beginn der Übersetzung:
Russland scheint sich der nächsten Phase der Coronavirusepidemie zu nähern, in der die Infektionsrate abnimmt. Ende der Woche fiel das tägliche Wachstum auf 4 Prozent. Obwohl es in absoluten Zahlen noch ein Wachstum von etwa 10.000 neu entdeckten Infektionen pro Tag gibt, sieht man schon einen vorsichtigen Abwärtstrend. Trotz allem haben wir mehr als 280.000 identifizierte Fälle. Leider konnten 2.500 Patienten nicht gerettet werden. Auf der anderen Seite haben wir die niedrigste Sterblichkeitsrate der Welt, weniger als ein Prozent. Und ein weiterer wichtiger Indikator: Russland ist heute Weltmeister bei der Anzahl der pro Tag durchgeführten Tests.
Am 11. Mai hielt Wladimir Putin eine Videokonferenz über die epidemiologische Situation und über neue Maßnahmen zur Unterstützung der Bürger und der Wirtschaft ab.
Das neue Paket staatlicher Unterstützungsmaßnahmen – umfangreicher und teurer als alle bisherigen – kündigte der Präsident persönlich an, für das Land gibt es jetzt nichts wichtigeres.
„Die Maßnahmen, die ich vorgeschlagen habe, um die Menschen, den sozialen Bereich und die Wirtschaft insgesamt zu unterstützen, sind absolut beispiellos. Ich denke, dass der Staat in der jüngeren Geschichte wahrscheinlich nie solche Mittel zur Unterstützung unserer Menschen und bestimmter Wirtschaftssektoren bereitgestellt hat. Ich kann mich daran jedenfalls nicht erinnern. Selbst in den schwierigen Jahren 2008 und 2009, während der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise“, sagte Wladimir Putin.
Der Staat wird sich um alle russischen Familien mit Kindern kümmern. Das Kindergeld wurde verdoppelt. Für jedes Kind bis zu drei Jahren gibt es fünftausend Rubel pro Monat (ca. 70 Euro). Für Kinder von drei bis sechzehn gibt es eine Pauschalzahlung von zehntausend Rubel. Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren in einkommensschwachen Familien erhalten jeden Monat die Hälfte des Existenzminimums. Je mehr Kinder, desto mehr Geld gibt es aus dem Staatshaushalt.
„Das hilft. Ich freue mich sehr über die Unterstützung. Und nicht nur für kinderreiche Familien, sondern für alle Familien mit Kindern. Und es gab kein Problem, ich ging zum Amt, schrieb eine Erklärung an die Pensionskasse und das war’s. Keine persönlichen Besuche, keine Dokumente“, sagte Ekaterina Ivanova, eine kinderreiche Mutter.
Beantragt wird das Geld online und die Seite bricht bereits alle Rekorde: zehnmal mehr Aufrufe als üblich. 27 Millionen Menschen werden auf diese Weise finanzielle Unterstützung erhalten können.
„Das ist bares Geld, das die Menschen heute so sehr brauchen. Als wir vor einigen Monaten in er Gesellschaft aktiv über die Verfassungsänderungen diskutiert haben, wurde beschlossen, in die Verfassung aufzunehmen, dass Kinder die wichtigste Priorität der staatlichen Politik sind. Und wir sehen heute, dass das nicht nur leere Worte sind“, sagte Valentina Matviyenko, Vorsitzende des Föderationsrates.
All dies steht unter besonderer Kontrolle des Präsidenten und den Berichts der Regierung darüber, wo wem wie viel bereits ausgezahlt wurde, fordert er täglich an. Der Ministerpräsident fordert das Gleiche von allen Ministern und Gouverneuren.
„Kollegen, alle Maßnahmen, über die wir gesprochen haben, müssen so schnell wie möglich umgesetzt werden. Und ich bitte Sie, so aktiv daran zu arbeiten, wie bei den früheren Entscheidungen. Die Aufgaben, die der Präsident uns gestellt hat, um Menschen und Unternehmen unverzüglich Geld zu geben, müssen unverzüglich gelöst werden“, sagte Ministerpräsident Michail Mischustin.
Der Ministerpräsident ist immer noch im Krankenhaus, aber er hält von dort aus Regierungssitzungen ab. (Anm. d. Übers.: Ministerpräsident Mischustin ist an Corona erkrankt und hatte sich vorübergehend vertreten lassen)
„Heute erlaubt ihm sein Gesundheitszustand bereits, in die Arbeit einzusteigen. Es ist klar, dass er noch behandelt werden muss. Aber wir sehen, dass die Entwicklung positiv ist, die Mediziner haben haben gute Arbeit geleistet“, sagte Gesundheitsminister Michail Murashko.
Die russische Wirtschaft ist in einer schwierigen Lage. Vor allem die Unternehmen, die wegen Quarantäne schließen mussten. Die Wiederaufnahme der Produktion ist keine leichte Aufgabe. Auf der einen Seite muss man schnell aufholen, auf der anderen Seite muss alles sehr sorgfältig getan werden, gemäß den notwendigen Verfahren. Der Staat verspricht, all denen zu helfen, die in der schwierigen Situation kein Personal abgebaut haben. Unter dieser Bedingung können Geschäftsleute mit einer beispiellosen Steuerbefreiung für drei Monate rechnen. Mit staatlichen Garantien können Kredite zur Zahlung der Gehälter aufgenommen werden, die dann nicht zurückgezahlt werden müssen. Steuervergünstigungen werden auch für Einzelunternehmer gewährt.
„Für den Staatshaushalt ist die Situation nicht einfach, ich meine den Preisverfall für unsere traditionellen Exportwaren, für Öl und andere Energieträger. Die Preise sind gesunken, die Einnahmen des Staates sind deutlich gesunken, aber wir suchen dennoch nach Quellen, um unsere Menschen und die Wirtschaft insgesamt zu unterstützen. Und wenn wir das tun, dann müssen wir es auch zu Ende bringen, sonst wird das Ergebnis, das wir erwarten und das die Menschen von uns erwarten, nicht erreicht“, sagte Wladimir Putin.
Der Präsident setzt die Rahmen, den Rest müssen die Gouverneure entscheiden. In vielen Regionen, in denen die epidemiologische Situation es zulässt, werden die Beschränkungen nach und nach gelockert.
In Ufa wurden Parks geöffnet. In Nischni Nowgorod die Schönheitssalons. Jeder Mitarbeiter eines Schönheitssalons muss einen Einwegschutzanzug, Handschuhe, eine Kappe und eine Schutzmaske tragen. In Belgorod wurden Bekleidungsgeschäfte geöffnet. In Sachalin wurden die Oberstufen der Schulen wiedereröffnet. In der Region Krasnodar Unternehmen, wie diese Möbelfabrik.
Überall muss man sich an die neuen Bedingungen gewöhnen. Persönliche Schutzausrüstung ist obligatorisch.
Die Moskauer U-Bahn konnte wegen der Sonderregelungen den 85. Jahrestag ihrer Eröffnung nicht feiern und hat normal gearbeitet. Die Arbeit auf ihren Baustellen hat nicht aufgehört, der Grund dafür ist, dass die technologischen Prozesse nicht einfach gestoppt werden können.
Das „Masken-und-Handschuh-Regime“ gilt jetzt in den meisten der großen Städte Russlands. In Moskau gibt es für Verstöße Geldstrafen, in den Vororten nur Verwarnungen. Die Verantwortung liegt beim Regierungschef der Region, das ist die einzig mögliche Lösung – zu ungleichmäßig breitet sich das Virus im ganzen Land aus.
„Wir haben ein großes Land. Die epidemiologische Situation in den Regionen ist sehr unterschiedlich. Wir haben das schon früher berücksichtigt und wir müssen in der kommenden Phase noch subtiler und sorgfältiger handeln. Es ist unmöglich, einheitlich vorzugehen, weil bestimmte Maßnahmen in einigen Regionen ungerechtfertigte Risiken für die Bürger mit sich bringen können, und in anderen im Gegenteil, zu ungerechtfertigten Einschränkungen des Lebens der Menschen und Unternehmen führen können“, sagte Wladimir Putin.
Aber alle regionalen Initiativen werden erst nach Konsultationen mit der gesamtrussischen Gesundheitsbehörde umgesetzt. Die Beendigung der Isolation hängt auch davon ab, wie effektiv die Behandlungen sein werden und wie schnell ein Impfstoff erscheinen wird.
„Im Juni führen wir präklinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe in dem minimalen Umfang durch, der ausreicht, um zu den klinischen Studien der Phasen eins und zwei mit insgesamt 300 Freiwilligen überzugehen. Wir gehen davon aus, dass wir diesen Impfstoff bereits im September dieses Jahres registrieren werden“, sagte Rinat Maksyutov, Generaldirektor des Staatlichen Forschungszentrums für Virologie und Biotechnologie.
„Ich hoffe sehr, dass Ihre Arbeit innerhalb des Zeitrahmens abgeschlossen wird, den Sie genannt haben und dass die Registrierung dieses Impfstoffs gegen das Coronavirus im September erfolgen wird“, sagte der Präsident.
In mehreren russischen Forschungsinstituten wurden bereits erfolgreich Versuche an Labortieren durchgeführt.
„Wir arbeiten mit Mäusen, die humanisiert wurden. Das bedeutet, dass einige ihrer Gene durch menschliche Gene ersetzt wurden. Die Wirksamkeit einer Kombinationstherapie hat sich bereits gezeigt“, erklärt Alexander Makarov, Direktor des instituts für Molekularbiologie.
„Ich weiß nicht, wie es anderen hier geht, aber ich persönlich hatte ein merkwürdiges – ja ängstliches – Gefühl, als Sie über die Humanisierung von Mäusen gesprochen haben. Da habe ich sofort Fanatasien über gentechnische Veränderungen und viele Bildern dieser humanisierten Mäuse im Kopf. Ich hoffe, dass Sie all das unter Kontrolle haben“, sagte Putin. (Anm. d. Übers.: Wer diese Passage des Beitrages anschaut, der erkennt dass Putin sich dabei tatsächlich nicht ganz wohl gefühlt hat. Sein Lächeln und sein Versuch, das scherzhaft zu verpacken, konnten das nicht überspielen)
„In Nowosibirsk wurde den Mäusen ein Denkmal vor dem Labor errichtet“, sagte Alexander Makarow. Auf diesem Denkmal ist eine Maus aus Bronze mit menschlichen Zügen zu sehen, die ein Genom strickt.
Der Präsident hat bei einem Treffen mit Wissenschaftlern ausführlich über den Stand der russischen Genetik gesprochen. Darin liegt der Schlüssel zur Behandlung nicht nur des Coronavirus, sondern auch vieler anderer tödlicher Krankheiten.
„Einzigartige Stämme von Viren, die Hirntumore und Brustkrebszellen zerstören können, wurden erschaffen. Diese Ergebnisse können wirklich ein Durchbruch bei der Behandlung von Krebs sein“, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin Tatjana Golikova.
In Russland werden im Auftrag des Präsidenten genetische Forschungszentren eröffnet, deren technologischer Partner das staatliche Unternehmen Rosneft sein wird. Die heimische Wissenschaft kann auf die volle Unterstützung des Staates zählen.
Ende der Übersetzung
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