Desinformation und Propaganda im Spiegel: Russland feiert angeblich Kündigung von INF-Vertrag

Der Spiegel gibt sich heute wirklich alle Mühe, Propaganda für die USA zu machen. Nun versucht er sich an dem Kunststück, die mögliche Kündigung des INF-Vertrages als nützlich für Russland darzustellen. Da die lauteste Kritik an einer möglichen Kündigung aus Russland kommt, ist dies wirklich schon dreist.
 
Schon mit der Überschrift im Spiegel ist eigentlich alles gesagt: „Trumps INF-Ausstieg nützt vor allem Russland„. Wie kommt der Spiegel darauf, dass ein Land davon profitieren soll, dass Atomraketen an seiner Grenze aufgestellt werden können, gegen die man nur ein Vorwarnzeit von weniger als fünf Minuten hat? Da diese einfache Frage schon zeigt, dass Russland diesen Vertrag erhalten möchte. Daher stellt der Spiegel diese Kernfrage auch nicht. Stattdessen verdreht er alles, um einen angeblichen Nutzen für Russland zu kontruieren. Diese Kunststück an Propaganda und Verdrehung von Tatsachen versucht der Spiegel in dem heutigen Artikel.
 
Natürlich teilt der Spiegel mit, dass die USA Russland vorwerfen, gegen den Vertrag zu verstoßen und darüber berichtet auch der Spiegel: „Die Kritik der US-Regierung ist schon länger bekannt. 2014 warfen die USA dem Kreml erstmals vor, den Vertrag zu verletzen. In den Folgejahren kam das Außenministerium immer wieder zu dieser Einschätzung. Konkret geht es Washington um russische Marschflugkörper mit dem Nato-Code SS-C-8 (russisch: 9M729), die Ziele in bis zu 2600 Kilometer Entfernung treffen können. Der Vertrag verpflichtet die USA und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion eigentlich zur Abschaffung aller landgestützten, atomar bestückbaren Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern.
 
Das Problem ist, dass diese Raketen vom Typ Iskander nach russischen Angaben mit einer Reichweite von unter 500 Kilometern nicht gegen das Abkommen verstößt, die USA dies aber behaupten, ohne es freilich zu belegen. Sowohl Russland als auch die USA haben Satelliten, die Raketenstarts feststellen, um so vor einem atomaren Angriff zu warnen. Daher informieren sich die Mächte vorzeitig über Raketentests, weil man verhindern will, dass ein Raketentest versehentlich einen Atomkrieg auslösen könnte. Es wäre also ein Leichtes für die USA, mitzuteilen, bei welchem Test der Rakete sie warum zu dem Schluss gekommen sind, dass die Reichweite nicht 500 sondern 2.600 Kilometer beträgt. Russland fordert genau diese Angaben schon lange von den USA, nur teilen die es nicht mit. Stattdessen gibt es nur die unbelegte Beschuldigung.
 
Besonders entlarvend ist dieser Artikel des Spiegel, weil auf er die Kritik Russlands gar nicht eingeht, gerade so, als gäbe es sie nicht. Russland beschuldigt die USA schon lange, selbst gegen den Vertrag zu verstoßen und zumindest in einem Fall ist das sogar unbestritten: Als die USA ihre Raketenabwehr entwickelten, brauchten sie Raketen, die man als Ziele zu Testzwecken benutzen konnte. Dazu wurden Raketen entwickelt, die gegen den INF-Vertrag verstoßen. Das haben die USA auch zugegeben, jedoch sahen sie es nicht als Vertragsbruch an, weil die Raketen ja nur zu Testzwecken entwickelt wurden. Dabei weiß niemand, was sie damals tatsächlich entwickelt haben. Mehr Details zu dem INF-Vertrag und den anderen Vorwürfen Russlands gegen die USA wegen Verstößen gegen den Vertrag finden Sie hier.
 
Die russischen Vorwürfe, die USA würden den Vertrag brechen, werden im Spiegel aber gar nicht erwähnt, obwohl sie gut belegt sind. Stattdessen werden die unbelegten Vorwürfe der USA kritiklos zitiert. Aber vollständig unsinnig wird es, wenn der Spiegel es in dem Artikel so hinzustellen versucht, dass mit der Kündigung des Vertrages die USA geschwächt und Russland gestärkt wird. Dazu nennt der Spiegel drei Gründe. Der erste: „Mit dem Ausstieg erhielten die Russen quasi einen Freifahrtschein, ihre Raketen dort zu positionieren, wo sie wollten – denn die Kontrolle durch den INF-Vertrag fiele weg.
 
Das ist objektiv falsch, denn Russland hat diese Iskander-Raketen als Reaktion auf die Stationierung der US-Raketenabwehr in Polen bereits in Kaliningrad stationiert, während der Spiegel suggeriert, dass dies erst nach der Kündigung passieren könnte.
 
Der zweite Punkt im Spiegel ist: „Die USA dagegen verfügten derzeit nicht über vergleichbare Raketen mit einer ähnlichen Reichweite. Selbst wenn, müssten sie diese zudem in Europa stationieren, wo die Bereitschaft dazu gering seien dürfte.
 
Auch das ist falsch, denn wenn man den Russen glaubt, dann ist das Startsystem MK41 für die US-Raketenabwehr vom Typ universell einsetzbar und damit ein Verstoß gegen den INF-Vertrag, denn von den Startrampen in Polen können auch vertragswidrig Tomahawk-Raketen mit Atomsprengköpfen gestartet werden, die Russland direkt vor seiner Haustür bedrohen. Die USA hingegen haben keine russischen Kurz- oder Mittelstreckenraketen zu fürchten. Die Kündigung des Vertrages würde also die Gefahr für Europa und Russland erhöhen, nicht aber die Gefahr für die USA.
 
Der dritte Punkt ist fast schon lustig, denn der Spiegel gibt nun selbst zu, dass die USA nie Belege für abgebliche russische Verstöße gegen den Vertrag geliefert haben: „Und: Die USA würden nun (erneut) weltweit als diejenigen angesehen, die für das Ende eines wichtigen Abkommens verantwortlich sind, ohne je einen konkreten Beweis für Verstöße geliefert zu haben.
 
Nachdem der Spiegel also in dem ganzen Artikel nur einseitig US-freundlich berichtet hat und die russischen Argumente nicht einmal erwähnt hat, darf auch noch ein Vertreter eines US-Think-Tanks zu Wort kommen: „Für Rüstungsexperte Pifer ist jedenfalls jetzt schon klar: „Russlands Offizielle feiern die Nachricht des Ausstiegs mit Sicherheit.“
 
Der Spiegel erwähnt jedoch nicht, dass der Think Tank Brookings Institution der US-Regierung nahe stand, die ursprünglich mit der Kritik an Russland wegen angeblicher Vertragsverstöße begonnen hat: Der Obama-Regierung, denn als Obama 2009 ins Amt kam, wechselten viele Mitarbeiter der Brookings Institution in seine Regierung. Neutral ist eine solche Stimme natürlich nicht, aber der Spiegel zieht sie trotzdem als neutrale Expertenmeinung hinzu.
 
Und in Russland dürfte niemand den Ausstieg der USA feiern, denn Atomwaffen mit einer Vorwarnzeit von wenigen Minuten an seiner Grenze ist sicher für Russland kein Grund zum Feiern!
 
Übrigens hat auch der Spiegel selbst darüber heute in einem anderen Artikel berichtet. Aber auch in dem Artikel gab es ordentlich Desinformation: „Beide Staaten werfen sich seit Jahren vor, den INF-Vertrag zu unterlaufen. Wie in den USA gibt es auch in Russland Stimmen, die den Vertrag nicht im Einklang mit den nationalen Interessen sehen.
 
Auch hier keine Belege für die US-Vorwürfe und keine Einzelheiten zu den detailliert begründeten Vorwürfen Russlands. Stattdessen lügt der Spiegel dreist: Ich verfolge das russische Fernsehen heute den ganzen Tag, es gibt in Russland niemanden, der den Vertrag „nicht im Einklang mit den nationalen Interessen“ sieht. In Russland herrscht über die US-Ankündigung einhelliges Entsetzen vor.
Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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